Die Prussia-Sammlung im Museum für Vor- und Frühgeschichte Berlin

Apr 2012

Reidentifizierte Objekte aus Unterplehnen, Kr. Rastenburg (Rówina Dólna, Polen)

Ein großer Teil der Prussia-Sammlung im Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte lässt sich aufgrund der kriegsbedingten Verlagerung weder einem Fundort, noch einer ehem. Inventar-Nummer und somit auch keinem archäologischen Kontext zuweisen. Diese „verwaisten“ Funde sind übergangsweise mit sog. „Pr-Nummern“ versehen worden. Über 7.000 dieser Nummern sind für fundortlose Objekte vergeben worden. Neben zahlreichen neolithischen Steinäxten handelt es sich in der Mehrheit um kaiserzeitliche, völkerwanderungszeitliche und mittelalterliche Funde.



In der Sammlung sind diese Objekte nach typologischen Kriterien vorsortiert worden. Die Frage ist nun, wie man für diese Stücke Herkunft und auch archäologischen Kontext rekonstruieren kann. Eine Möglichkeit besteht darin, diese Problematik vom Bestand der Ortsakten her anzugehen. Exemplarisch ist dies für das Gräberfeld von Unterplehnen, Kr. Rastenburg (Rówina Dólna, Woiw. Warmińsko-Mazurskie, Polen) versucht worden. Für diesen Fundort liegt eine umfangreiche Ortsakte, sowie zahlreiche erhaltene Fotografien vor.


(Unterplehnen, Kr. Rastenburg, Grabung Carl Engel 1931, Grab 28, Inv.-Nr. VII,332,12190).


(Fotorückseite mit Fundortangabe, Grabnummer, Grabungsjahr und Inventarnummer).

Mit diesen Fotografien lässt sich nun die Suche nach bestimmten Objektgruppen auf eine überschaubare Menge von Fundkisten gezielt eingrenzen. In diesem Fall ist die Perlenkette im rechten unteren Bildrand identisch mit der Perlenkette mit der Pr-Nummer 2680.


(Unterplehnen, Kr. Rastenburg, Grabung Carl Engel 1931, Grab 28, Pr 2680 = Inv.-Nr. VII,332,12190).

Von den 104 aus Unterplehnen erhaltenen Objekten konnten auf diese Weise über 30 Objekte mit „Pr-Nummern“ reidentifiziert und dem Fundort Unterplehnen zugeordnet werden. Besonders wertvoll ist es, dass sich dabei meist auch der jeweilige Grabkontext erkennen lässt, sofern diese Informationen auf den Fotos vermerkt sind. Durch die Kombination von Angaben aus Ortsakten, Fotos, Fundzetteln und der Voigtmann-Kartei lässt sich der Umfang der Gräberfeldes von Unterplehen und auch die Grabinventare der ca. 250 Bestattungen Stück für Stück rekonstruieren.
Es werden aber auch die Schäden deutlich, die die einzelnen Objekte durch die Verlagerung erfahren haben.


(Unterplehnen, Kr. Rastenburg, Grabung Jaensch 1937, Grab 55).

Ortband einer Dolchscheide, der Dolch fehlt.

(Unterplehnen, Kr. Rastenburg, Grabung Jaensch 1937, Grab 55).

Gürtelschnalle mit Lederresten, der auf dem Foto sichtbare Beschlag fehlt.

(Unterplehnen, Kr. Rastenburg, Grabung Jaensch 1937, Grab 55).


(Unterplehnen, Kr. Rastenburg, Grabung Jaensch 1937, Grab 26).

Auch bei diesem Gürtelbeschlag sind zwei Niete nicht mehr erhalten.

(Unterplehnen, Kr. Rastenburg, Grabung Jaensch 1937, Grab 26).


(Unterplehnen, Kr. Rastenburg, Grabung Carl Engel 1931, Streufund).


(Unterplehnen, Kr. Rastenburg, Grabung Carl Engel 1931, Streufund).

Eine weiterer Ausgangspunkt für Reidentifizierungen sind die erhaltenen Karteikarten der sog. Voigtmann-Kartei. Hier sind die Objekte häufig auf Fotos oder Handzeichnungen zu erkennen. Auch hier erhalten die Fundstücke nicht nur ihren Fundort, sondern auch ihren archäologischen Fundkontext zurück.

(Unterplehnen, Kr. Rastenburg, Grabung Voigtmann 1936, Grab XXIX, Fund 36).

Literatur:

N. Goßler/Ch. Jahn, Die archäologischen Untersuchungen am spätmittelalterlichen Gräberfeld und am Burgwall von Unterplehnen, Kr. Rastenburg (Równina Dolna, pow. Kętrzyński) zwischen 1827 und 1940 – Ein Rekonstruktionsversuch anhand der Materialien im Berliner Bestand der Prussia-Sammlung (ehem. Königsberg/Ostpreußen). Acta Praehist. et Arch. 45, 2013, 217-278.

N. Goßler/Ch. Jahn, Zur materiellen Kultur der Prussen während der Ordenszeit im 14./15. Jahrhundert – Das archäologische Fallbeispiel Burg und Gräberfeld Unterplehnen, Kr. Rastenburg (Równina Dolna, pow. Kętrzyński). Preussenland N.F. 4, 2013, 23–55.

(Christoph Jahn)