Die Prussia-Sammlung im Museum für Vor- und Frühgeschichte Berlin

Linkuhnen

Auferstanden aus der "Totenstadt": Wikingerzeitliche Funde aus Linkuhnen, Kr. Niederung

Im Rahmen des DFG-Projektes widmet sich eine spezielle Untersuchung dem forschungsgeschichtlich bedeutsamen Fundplatz von Linkuhnen in der Memelniederung (heute Rževskoe, Russ. Föderation). Bis 1945 waren dort in verschiedenen Grabungskampagnen, an denen so bedeutende ostpreußische Archäologen wie Herbert Jankuhn, Carl Engel, Kurt Voigtmann und Wolfgang La Baume beteiligt waren, fast 500 Gräber der Römischen Kaiserzeit, der Völkerwanderungszeit sowie der Wikingerzeit entdeckt worden.


(Linkuhnen, Kr. Niederung: Grabungskampagne Herbert Jankuhn im Oktober 1928. Foto: Archiv MVF Berlin)

Die Nekropole gilt seit langem als wichtiges, chronologisches Bindeglied zwischen der mittleren und späten Eisenzeit im Westbaltikum und wurde möglicherweise auch nach dem 5./6. Jahrhundert kontinuierlich bis ins 11./12. Jahrhundert weiterbelegt.
Nach Angaben des Ausgräbers Carl Engel bestand das Gräberfeld aus vier, unterschiedlich tiefen Schichten oder „Stockwerken“, die er als zeitliche Abfolge in der Gräberfeldbelegung ansah. Vor allem die wikingerzeitlichen Bestattungen, unter denen sich anscheinend viele Doppelgräber von Frauen und Männern befinden, wiesen einen außergewöhnlichen Beigabenreichtum auf. Carl Engel verglich die Struktur der Nekropole mit den Katakomben des frühchristlichen Roms und sprach von der „Totenstadt von Linkuhnen“.


(Grab 25 des Gräberfeldes von Linkuhnen; Grabung 1929. Foto: Archiv MVF Berlin)

Schmuckausstattungen aus Hals-, Arm- und Fingerringen, Fibeln, Nadelschmuck und Kettengehängen stehen Waffeninventare mit mehreren Schwertern, Lanzenspitzen sowie Reitzubehör gegenüber. Unter den Schwertern befindet sich eine erstaunlich hohe Anzahl von Klingen mit ULFBERTH-Inschriften, dem „Markennamen“ einer rheinischen Waffenschmiede des 9./10. Jahrhunderts. Aufgrund der herausragenden Qualität dieser Waffen existierten zahlreiche zeitgenössische Plagiate dieser Klingen. In Linkuhnen lassen sich vermutlich sowohl Original und Fälschung nachweisen; sie können als Importe aus West- und Mitteleuropa gelten. Vor allem die zahlreichen Waffenfunde aus den Gräbern von Linkuhnen veranlassten die Archäologen vor 1945 dazu, ein starkes wikingisches Element unter der Bestattungsgemeinschaft von Linkuhnen zu vermuten.


(Waffenbeigaben im Gräberfeld von Linkuhnen. Nach C. Engel 1931)


(Kreuzförmige Scheibenfibeln aus Linkuhnen. Foto: C. Plamp)

Im Berliner Bestand der Prussia-Sammlung können bisher 158 Objekte dem Fundplatz Linkuhnen zugewiesen werden: über ein Drittel dieses Bestandes resultiert aus Fundreidentifizierungen, die durch die bisherige Arbeit des DFG-Projektes ermöglicht wurden.


(Tauschierter Schwertgriff aus Grab 53 von Linkuhnen. Nach La Baume 1941)


(Tauschierter Schwertgriff aus Grab 53 von Linkuhnen. Aufnahme nach 1929. Foto: MVF Berlin)


(Reidentifizierter Schwertgriff aus Grab 53, heutiger Zustand).

Ein in Arbeit befindlicher kommentierter Fundkatalog, der archäologische Objektinformationen, bisherige Literaturangaben und zahlreiche archivarische Quellen kombiniert, wird eine neue Grundlage für die chronologische und kulturhistorische Einordnung des Fundplatzes Linkuhnen liefern.

(Norbert Goßler)

Eine besondere Fundgattung: Glasperlen

Eine kleine, aber feine Fundgruppe innerhalb des mittelalterlichen Bestandes der Prussia-Sammlung bilden die Glasperlen. Sie stellen oft Meisterwerke der frühgeschichtlichen Glaserzeugung dar.


(Linkuhnen, Kr. Niederung, bei Grab 204 l, Mitte 10. Jh.)

Meist liegen sie nur als Einzelfunde vor, bildeten aber ursprünglich als umfangreiche Perlenketten prächtige und farbenreiche Schmuckensembles der Frauentracht.


(Gerdauen, Kr. Gerdauen, Grab 40, 13./14. Jh.)

Aufgrund der zahlreichen Kombinationen unterschiedlicher Perlentypen lassen sich Glasperlen besser als andere Objektgruppen für eine genauere zeitliche Einordnung der Funde verwenden.
Glasperlen aus dem großen Gräberfeld von Ramutten-Jahn, Kr. Memel (Melašiai, Litauen) weisen etwa darauf hin, dass die Belegung des Friedhofes wahrscheinlich schon am Ende des 8. Jahrhunderts nach Chr. einsetzt.
Perlen wurden sowohl lokal hergestellt, als auch als Güter des Fernhandels von weither ins Baltikum importiert. Aus den Brand- und Körpergräbern in Ramutten-Jahn liegen so unter anderem Glassperlen byzantinischer (Grab 91) und orientalischer Herkunft (Grab 21) vor. Sie werfen ein interessantes Schlaglicht auf die kulturellen Einflüsse, denen das Baltikum während der späten Eisenzeit ausgesetzt war.


(Ramutten-Jahn, Kr. Memel, Grab 91, um 1000)


(Ramutten-Jahn, Grab 21, um 1000, v. a. gelbe u. blaue Perlen)

(Norbert Goßler)