Die Prussia-Sammlung im Museum für Vor- und Frühgeschichte Berlin

Regehnen

Altfundbestände aus dem nördlichen Samland: das Beispiel Regehnen

Regehnen (heute Dubrowka, Russ. Föderation) stellt den südlichsten Punkt des Arbeitsgebietes in der Gegend um Rauschen dar und liegt etwa 8 km südlich der Ostseeküste, westlich der Eisenbahnlinie Königsberg-Neukuhren und ist eine kleine Ortschaft mit wenigen landwirtschaftlichen Höfen. Die Gründung des Ortes Regehnen lässt sich auf das Jahr 1387 zurückverfolgen. Bemerkenswert ist die lange Belegungszeit des Gräberfeldes, das (mit Überlieferungslücken) von der Jüngeren Bronzezeit bis in das Spätmittelalter genutzt wurde.


(Der Fundort Regehnen mit den Fundstellen I und II, Grabungen zwischen 1884 und 1938)

Unter der Ortsangabe Regehnen sind zwei Fundstellen zu verstehen, die sich südlich und westlich der eigentlichen Ortschaft befinden und etwa 1,5 km voneinander entfernt liegen. Dabei handelt es sich um zwei Gräberfelder (Regehnen I und II), die jeweils Funde der Bronze- und Eisenzeit, sowie der Römischen Kaiserzeit und des Mittelalters aufweisen (Regehnen II auch Völkerwanderungszeit), deren Ausdehnung und Beziehung zueinander jedoch unklar bleiben. Durch umfangreiche neuzeitliche Steinentnahmen sind die Grabhügel in erheblichem Maße abgebaut und zerstört worden. Beide Fundstellen wurden nur in kleineren Fundmeldungen oder Objektstudien erwähnt, die Funde und Befunde aber bis heute weder vorgelegt noch ausgewertet. Aus den in Berlin überlieferten Funden und den Beschreibungen in der Literatur und den Archivalien ergibt sich ein Ausblick auf etwa 77 ergrabene Bestattungen mit über 500 Beigaben. W. Gaerte bezeichnete das Gräberfeld von Regehnen in einem Zeitungsbericht vom 26. Juni 1936 als „eines der größten samländischen Gräberfelder mit einer durchgehenden Belegung von der Bronzezeit bis in das Mittelalter“. Dabei hatte er vermutlich die umfangreichen Zerstörungen und erkennbaren Verluste von Regehnen II vor Augen.

Die Fundmeldungen und Ausgrabungen in Regehnen umfassen einen Zeitraum von 1883 bis 1938 und lassen sich für beide Fundstellen meist deutlich unterscheiden. Die Grabungen führte zunächst die Prussia-Gesellschaft durch, später das Prussia-Museum bzw. das Landesamt für Vorgeschichte. Dazu kommen die Fundmeldungen von Einzelfunden durch verschiedene Privatpersonen. Die Untersuchungen konzentrierten sich zunächst auf die Fundstelle Regehnen I, für die sich Aktivitäten in den Jahren vor 1883, 1884-1887 und 1913 rekonstruieren lassen. Umfangreiche Ausgrabungen an der Fundstelle Regehnen II wurden in den Jahren 1936 und 1938 vorgenommen.


(Einzelfunde aus der Fundstelle Regehnen I, eingeliefert in das Prussia-Museum 1883. Foto: C. Plamp)

In der Prussia-Sammlung im Berliner-Museum für Vor- und Frühgeschichte existieren heute noch 86 Funde aus Regehnen. Die verfügbaren Archivinformationen deuten darauf hin, dass alle erhaltenen Objekte der Fundstelle Regehnen I zuzuordnen sind und im Zeitraum zwischen 1883 und den 1930er Jahren an das Prussia-Museum in Königsberg gelangt sind. Die Funde datieren überwiegend in die Römische Kaiserzeit (76 Stück), der geringere Teil lässt sich dem Mittelalter zuweisen (10 Stück). Von den bronzezeitlichen und eisenzeitlichen Objekten sind in Berlin keine Stücke überliefert und nur vereinzelt in der Literatur nachweisbar.


(Römische Münze - AE I [Hadrian?], Einzelfund aus Regehnen I vor 1883. PB 9, 1884, 191; S. Bolin, PB 26, 1926, 216 Nr. 50)

Regehnen stellt ein typisches Beispiel für die Überlieferungsproblematik der Prussia-Sammlung dar: es gilt den relativ spärlichen Niederschlag der Ausgrabungen in Regehnen in der archäologischen Literatur und die fragmentarische Überlieferung in den Ortsakten mit den unvollständig überlieferten Funden in Einklang zu bringen. Erst die Kombination der verfügbaren Quellen ermöglicht es, den Kontext der überlieferten Objekte zu rekonstruieren und ein aussagekräftiges Bild der archäologischen Situation in Regehnen entstehen zu lassen.


(Einzelfunde aus Regehnen I. Aufzeichnungen von H. Jankuhn, vermutlich Ende der 1920er Jahre)

Südlich der Ortschaft Regehnen (Regehnen I) finden sich Hinweise auf Hügelgräber der jüngeren Bronzezeit. Funde aus 12 Grabhügeln der Eisenzeit (1. vorchristliches Jahrtausend) und der römischen Kaiserzeit (Grab XIIc) wurden während der Grabung des Jahres 1884 geborgen. In diesem Hügelgräberfeld mit Brandbestattungen in Urnen und Steinsetzungen (Steinkammern und Steinpflaster) finden sich in der Römischen Kaiserzeit auch Hinweise auf Bestattungen mit Pferdeteilen. Aus diesem Teil stammen auch die erhaltenen mittelalterlichen Funde (Einzelfunde)


(Schildbuckel Grab XIIc, Regehnen I. Aufzeichnungen von H. Jankuhn, vermutlich Ende der 1920er Jahre)

Die Grabung im Jahre 1887 bringt weitere 22 Grabhügel (Durchmesser 3,20 – 7,00 m) mit mehrschichtigen Steinlagen und Einfassungen durch konzentrische Steinkreise. Auch wenn keine Funde dieser Kampagne erhalten sind, so dürften die Brandgräber anhand der Beschreibungen in die ältere römische Kaiserzeit zu datieren sein.


(Gräberfeldplan Regehnen I, Grabung 1887. Die Grabungsfläche schließt nördlich an die Grabung von 1884 an. PB 14, 1889 Taf. 6)

Im westlichen Teil von Regehnen (Regehnen II) sind die ältesten Bestattungen (Urnen in Hügelgrab) in die jüngere Bronzezeit/frühe Eisenzeit zu datieren, die Nachbestattungen in der Hügeldecke und am Rande des bronzezeitlichen Grabhügels gehören an das Ende der Latènezeit. Die Grabungen 1936 und 1938 erbrachten Skelettgräber sowie Brandgräber der älteren Kaiserzeit und Urnengräber und Brandschüttungsgräber der jüngeren Kaiserzeit, außerdem Brandgruben der Völkerwanderungszeit. Häufig treten Steinsetzungen als Pflaster oder als mehrlagige Steinpackungen auf. Mittelalterliche Funde werden im Grabungsbericht erwähnt, sind jedoch nicht überliefert und lassen sich keinem archäologischen Kontext zuweisen.
Ausgehend von den ausgegrabenen Flächen in Regehnen II finden sich die ältesten Gräber im Kern des Friedhofs, die jüngeren jeweils nach Norden und Westen anlagernd. Das frühgeschichtliche Gräberfeld schließt sich westlich an die bronzezeitlichen Grabhügel an und erstreckt sich nach Westen bis Tolklauken. Oberflächenbegehungen zeigen weitere Keramikfunde, das Gräberfeld konnte nur partiell ausgegraben werden.
Der Fundort Regehnen zeigt eine bemerkenswert lange, stufenübergreifende Nutzung der Nekropole, auch wenn sich die Belegung nicht für alle Zeitstufen lückenlos nachweisen lässt . In der weiteren Bearbeitung wird sich zeigen, ob sich die verschiedenen Bestattungssitten nicht nur in der räumlichen Verteilung, sondern auch chronologisch weiter differenzieren lassen.

(Christoph Jahn)

Die Region um Rauschen im nördlichen Samland

Die Gegend um Rauschen, Kr. Fischhausen (heute Swetlogorsk, Oblast Kaliningrad, Russ. Föderation) im nördlichen Samland ist Gegenstand einer regionalen Studie, die im Wesentlichen drei Ziele verfolgt: zum einen versucht diese exemplarische Auswertung von Altfundbeständen ausgewählter Fundorte die Grabungsaktivitäten der Prussia-Gesellschaft und des Prussia-Museums in dieser Region zu rekonstruieren und mit den in Berlin erhalten Objekten zu vergleichen. Da es sich hierbei fast ausschließlich um Grabfunde handelt, soll zweitens versucht werden, die Bestattungssitten in einer eng umgrenzten Kleinregion nachzuzeichnen. Die Vorlage der bis heute weitestgehend unpublizierten Fundkomplexe kann somit drittens die aktuellen Baumaßnahmen und archäologischen Untersuchungen in der Gegend des heutigen Swetlogorsk ergänzen.


(Die behandelten Fundorte in der Region um Rauschen im nördlichen Samland)

Gegenstand der Untersuchung sind die Gräberfelder von Rauschen/Kobjeiten, Kirtigehnen, Pokirben, Pokalkstein und Regehnen an der nördlichen Ostseeküste des Samlands in einem Gebiet von 7 x 4 km Ausdehnung. Auch wenn keines der Gräberfelder vollständig ausgegraben oder dokumentiert worden ist, so ist doch jeweils von einer Belegung mit 300-400 Bestattungen auszugehen. Auffällig ist die lange Belegungsdauer der Gräberfelder. Für alle Fundorte lässt sich eine Nutzung in der Römischen Kaiserzeit und im Mittelalter nachweisen, teilweise auch für die Bronzezeit, die vorrömischen Eisenzeit und die Völkerwanderungszeit.
Die Bearbeitung dieser Fundorte zeigt die typische Problematik beim Umgang mit den Beständen der Prussia-Sammlung aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg: keines der hier behandelten Gräberfelder wurde vor dem Krieg vorgelegt oder ausgewertet. Wenn überhaupt haben nur einzelne Objekte oder Fundensembles Eingang in die Literatur gefunden. Erst die kombinierte Auswertung des in Berlin erhaltenen Objektbestandes und der Aktenüberlieferung ermöglicht eine Rekonstruktion der Grabinventare und der Bestattungsweise. Somit lässt sich für die meisten Fundorte eine „Verlustliste“ erarbeiten, die verdeutlicht, wie groß die Diskrepanz zwischen der Menge der ausgegrabenen Stücke und den heute in Berlin erhalten Objekten ist. Betrachtet man z. B. die unveröffentlichten Grabungsbrichte aus dem Gräberfeld von Rauschen/Kobjeiten, so wird ersichtlich, dass bis zum Jahre 1930 dort mindestens 399 Gräber geborgen worden sind, teilweise mit umfangreichen Grabbeigaben (zahlreiche Pferdebestattungen mit Reitzubehör).


(Die Grabungen des Flachgräberfeldes an der Straße Rauschen-Kobjeiten. Im nördlichen Teil befinden sich die Gräber der Frühen und Späten Völkerwanderunszeit = Stufen D und E, im südlichen Teil die Bestattungen der Frühen und Späten Römischen Kaiserzeit = C und B, teilweise überlagert von den mittelalterlichen Gräbern = F-J)

Der ursprüngliche archäologische Objektbestand aus dem Gräberfeld von Rauschen/Kobjeiten dürfte in einer Größenordnung von ca. 2.000 Stück gelegen haben. Dem steht heute ein erhaltenes Objekt im Berliner Bestand der Prussia-Sammlung gegenüber.


(Lanzenspitze des 11.-12. Jh. aus dem Gräberfeld von Rauschen-Kobjeiten, Einzelfund. Zeichnung: C. Hergheligiu)

Ungeachtet dieser Verluste lässt sich mit Hilfe der Ortsakten ein aussagekräftiges Bild von Umfang, Inhalt und Bedeutung des Gräberfeldes von Rauschen/Kobjeiten zeichnen. So sind detaillierte Beschreibungen von etwa 250 mittelalterlichen und kaiserzeitlichen Gräbern aus dem Südteil des Gräberfeldes erhalten.


(Rekonstruierter Gräberfeldplan aus dem Südteil des Gräberfeldes von Rauschen-Kobjeiten mit Gräbern der Römischen Kaiserzeit und des Mittelalters)

Berücksichtigt man alle behandelten Gräberfelder in dem räumlich begrenzten Untersuchungsgebiet, so wird die außerordentliche Funddichte kaiserzeitlicher und mittelalterlicher Gräberfelder im Samland deutlich.

(Christoph Jahn)