Kirtigehnen
Altfundbestände aus dem nördlichen Samland: das Beispiel Kirtigehnen
10/January/2014
Im Rahmen der exemplarischen Auswertung von Altfundbeständen der Prussia-Sammlung in Berlin wurden aus dem nördlichen Samland (heute Oblast Kaliningrad, Russ. Föderation) die Gräberfelder von Kirtigehnen, Rauschen-Kobjeiten, Pokirben, Pokalkstein und Regehnen ausgewählt. Teilweise handelt es sich um heute in der Forschung weitestgehend vergessene Fundkomplexe mit einstmals je 300-400 Bestattungen aus dem Zeitraum von der Römischen Kaiserzeit bis ins Mittelalter. Ziel dieser Studie ist es, die Grabfunde der genannten Nekropolen anhand archäologischer und archivarischer Quellen vorzulegen, wobei Daten zu den erhaltenen Objekten mit den Angaben der Literatur vor 1945 und archivarischen Informationen unterschiedlichster Herkunft in einem kommentierten Fundkatalog zusammenfließen.
Im Fall von Kirtigehnen wurde dabei zunächst die Beschriftung der mit Funden aus dem Gräberfeld erhaltenen Pappen ausgewertet, sie lässt vermutlich auf die ehemalige Zusammengehörigkeit zu Grabinventaren schließen.
(Pappe mit mittelalterlichen Funden aus Kirtigehnen. Foto: C. Plamp)
Da manche Fundinventare heute nur lückenhaft erhalten sind, wurden sie mit den archivalischen Aufzeichnungen von Felix Jakobson, Martha Schmiedehelm, Kurt Voigtmann und Rudolf Grenz verglichen und teilweise ergänzt.
(Kaiserzeitliche Fibel aus Kirtigehnen in der Zeichnung von Felix Jakobson und im erhaltenen Original)
In den Unterlagen der genannten Forscher sind darüber hinaus weitere Funde überliefert, die heute vollkommen verloren sind.
(Beschreibung eines Sprossenfibelpaares aus Kirtigehnen in der Fibelkartei von Kurt Voigtmann)
Der Fundplatz Kirtigehnen gehört zu den zahlreichen Gräberfeldern des Samlandes, die eine zweiphasige Belegung erkennen lassen, nämlich in der Römischen Kaiserzeit sowie der Völkerwanderungszeit einerseits, und im Mittelalter andererseits. Auffallend in der Benutzung des Gräberfeldes ist der zeitlicher Hiatus zwischen der späten Völkerwanderungszeit, also dem 6./7. Jh. n. Chr., und dem Zeitabschnitt vom 11. bis zum 13. Jahrhundert. Funde, die sich schwerpunktmäßig der Wikingerzeit (8.-10. Jh.) zuweisen lassen, fehlen bisher weitestgehend.
Innerhalb der archäologischen Forschung Ostpreußens vor dem 2. Weltkrieg, aber auch danach standen Kirtigehnen und seine Funde bisher im Schatten bekannterer Gräberfelder. In der „Urgeschichte Ostpreußens“ von W. Gaerte aus dem Jahr 1929 wird der Fundplatz nur einmal erwähnt; schon die archäologische Landesaufnahme von E. Hollack von 1908 kennt den Fundplatz, widmet ihm aber nur vier ganze Zeilen, während andere Fundorte deutlich länger abgehandelt werden.
(Sprossenfibelpaar des 6./7. Jahrhunderts aus Kirtigehnen. Nach Gaerte 1929)
Die Altfunde von Kirtigehnen und ihre Fundüberlieferung lassen zwei von einander räumlich getrennte Gräberfeldareale vermuten, beide liegen ungefähr 500 m vom historischen Ortskern entfernt
(Lageskizze der Notgrabung 1927 durch W. Gaerte mit mittelalterlichen Befunden aus dem Grenz-Archiv, Schleswig).
In der Berliner Prussia-Sammlung lassen sich heute noch 29 Fundkomplexe mit ganz unterschiedlichen Objektzahlen dem Fundplatz zuordnen, davon sind 20 Komplexe mit insgesamt 37 Objekten der Römischen Kaiserzeit bzw. Völkerwanderungszeit zuzuordnen, während dem Mittelalter neun Komplexe mit 39 Funden angehören. Aus der leider nur sehr eingeschränkten archivalischen Überlieferung zu Kirtigehnen im rekonstruierten Prussia-Sammlung am MVF sowie den Angaben der Literatur vor 1945 lässt sich jedoch erschließen, dass einstmals deutlich mehr Funde aus Kirtigehnen vorlagen, heute jedoch verschollen sind. Über die genaueren Umstände der Ausgrabungen vor 1945 sowie den dabei beobachteten Befunden berichten die archivalischen Quellen sehr wenig. Lediglich von einer Notgrabung aus dem Jahr 1927 erfahren wir, dass offenbar zehn Brandgrubengräber mit Steinabdeckung und jeweils zugehöriger Pferdebestattung aus dem 11.-13. Jahrhundert geborgen wurden.
(Norbert Goßler)
Im Fall von Kirtigehnen wurde dabei zunächst die Beschriftung der mit Funden aus dem Gräberfeld erhaltenen Pappen ausgewertet, sie lässt vermutlich auf die ehemalige Zusammengehörigkeit zu Grabinventaren schließen.
(Pappe mit mittelalterlichen Funden aus Kirtigehnen. Foto: C. Plamp)
Da manche Fundinventare heute nur lückenhaft erhalten sind, wurden sie mit den archivalischen Aufzeichnungen von Felix Jakobson, Martha Schmiedehelm, Kurt Voigtmann und Rudolf Grenz verglichen und teilweise ergänzt.
(Kaiserzeitliche Fibel aus Kirtigehnen in der Zeichnung von Felix Jakobson und im erhaltenen Original)
In den Unterlagen der genannten Forscher sind darüber hinaus weitere Funde überliefert, die heute vollkommen verloren sind.
(Beschreibung eines Sprossenfibelpaares aus Kirtigehnen in der Fibelkartei von Kurt Voigtmann)
Der Fundplatz Kirtigehnen gehört zu den zahlreichen Gräberfeldern des Samlandes, die eine zweiphasige Belegung erkennen lassen, nämlich in der Römischen Kaiserzeit sowie der Völkerwanderungszeit einerseits, und im Mittelalter andererseits. Auffallend in der Benutzung des Gräberfeldes ist der zeitlicher Hiatus zwischen der späten Völkerwanderungszeit, also dem 6./7. Jh. n. Chr., und dem Zeitabschnitt vom 11. bis zum 13. Jahrhundert. Funde, die sich schwerpunktmäßig der Wikingerzeit (8.-10. Jh.) zuweisen lassen, fehlen bisher weitestgehend.
Innerhalb der archäologischen Forschung Ostpreußens vor dem 2. Weltkrieg, aber auch danach standen Kirtigehnen und seine Funde bisher im Schatten bekannterer Gräberfelder. In der „Urgeschichte Ostpreußens“ von W. Gaerte aus dem Jahr 1929 wird der Fundplatz nur einmal erwähnt; schon die archäologische Landesaufnahme von E. Hollack von 1908 kennt den Fundplatz, widmet ihm aber nur vier ganze Zeilen, während andere Fundorte deutlich länger abgehandelt werden.
(Sprossenfibelpaar des 6./7. Jahrhunderts aus Kirtigehnen. Nach Gaerte 1929)
Die Altfunde von Kirtigehnen und ihre Fundüberlieferung lassen zwei von einander räumlich getrennte Gräberfeldareale vermuten, beide liegen ungefähr 500 m vom historischen Ortskern entfernt
(Lageskizze der Notgrabung 1927 durch W. Gaerte mit mittelalterlichen Befunden aus dem Grenz-Archiv, Schleswig).
In der Berliner Prussia-Sammlung lassen sich heute noch 29 Fundkomplexe mit ganz unterschiedlichen Objektzahlen dem Fundplatz zuordnen, davon sind 20 Komplexe mit insgesamt 37 Objekten der Römischen Kaiserzeit bzw. Völkerwanderungszeit zuzuordnen, während dem Mittelalter neun Komplexe mit 39 Funden angehören. Aus der leider nur sehr eingeschränkten archivalischen Überlieferung zu Kirtigehnen im rekonstruierten Prussia-Sammlung am MVF sowie den Angaben der Literatur vor 1945 lässt sich jedoch erschließen, dass einstmals deutlich mehr Funde aus Kirtigehnen vorlagen, heute jedoch verschollen sind. Über die genaueren Umstände der Ausgrabungen vor 1945 sowie den dabei beobachteten Befunden berichten die archivalischen Quellen sehr wenig. Lediglich von einer Notgrabung aus dem Jahr 1927 erfahren wir, dass offenbar zehn Brandgrubengräber mit Steinabdeckung und jeweils zugehöriger Pferdebestattung aus dem 11.-13. Jahrhundert geborgen wurden.
(Norbert Goßler)
Die Region um Rauschen im nördlichen Samland
10/January/2014
Die Gegend um Rauschen, Kr. Fischhausen (heute Swetlogorsk, Oblast Kaliningrad, Russ. Föderation) im nördlichen Samland ist Gegenstand einer regionalen Studie, die im Wesentlichen drei Ziele verfolgt: zum einen versucht diese exemplarische Auswertung von Altfundbeständen ausgewählter Fundorte die Grabungsaktivitäten der Prussia-Gesellschaft und des Prussia-Museums in dieser Region zu rekonstruieren und mit den in Berlin erhalten Objekten zu vergleichen. Da es sich hierbei fast ausschließlich um Grabfunde handelt, soll zweitens versucht werden, die Bestattungssitten in einer eng umgrenzten Kleinregion nachzuzeichnen. Die Vorlage der bis heute weitestgehend unpublizierten Fundkomplexe kann somit drittens die aktuellen Baumaßnahmen und archäologischen Untersuchungen in der Gegend des heutigen Swetlogorsk ergänzen.
(Die behandelten Fundorte in der Region um Rauschen im nördlichen Samland)
Gegenstand der Untersuchung sind die Gräberfelder von Rauschen/Kobjeiten, Kirtigehnen, Pokirben, Pokalkstein und Regehnen an der nördlichen Ostseeküste des Samlands in einem Gebiet von 7 x 4 km Ausdehnung. Auch wenn keines der Gräberfelder vollständig ausgegraben oder dokumentiert worden ist, so ist doch jeweils von einer Belegung mit 300-400 Bestattungen auszugehen. Auffällig ist die lange Belegungsdauer der Gräberfelder. Für alle Fundorte lässt sich eine Nutzung in der Römischen Kaiserzeit und im Mittelalter nachweisen, teilweise auch für die Bronzezeit, die vorrömischen Eisenzeit und die Völkerwanderungszeit.
Die Bearbeitung dieser Fundorte zeigt die typische Problematik beim Umgang mit den Beständen der Prussia-Sammlung aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg: keines der hier behandelten Gräberfelder wurde vor dem Krieg vorgelegt oder ausgewertet. Wenn überhaupt haben nur einzelne Objekte oder Fundensembles Eingang in die Literatur gefunden. Erst die kombinierte Auswertung des in Berlin erhaltenen Objektbestandes und der Aktenüberlieferung ermöglicht eine Rekonstruktion der Grabinventare und der Bestattungsweise. Somit lässt sich für die meisten Fundorte eine „Verlustliste“ erarbeiten, die verdeutlicht, wie groß die Diskrepanz zwischen der Menge der ausgegrabenen Stücke und den heute in Berlin erhalten Objekten ist. Betrachtet man z. B. die unveröffentlichten Grabungsbrichte aus dem Gräberfeld von Rauschen/Kobjeiten, so wird ersichtlich, dass bis zum Jahre 1930 dort mindestens 399 Gräber geborgen worden sind, teilweise mit umfangreichen Grabbeigaben (zahlreiche Pferdebestattungen mit Reitzubehör).
(Die Grabungen des Flachgräberfeldes an der Straße Rauschen-Kobjeiten. Im nördlichen Teil befinden sich die Gräber der Frühen und Späten Völkerwanderunszeit = Stufen D und E, im südlichen Teil die Bestattungen der Frühen und Späten Römischen Kaiserzeit = C und B, teilweise überlagert von den mittelalterlichen Gräbern = F-J)
Der ursprüngliche archäologische Objektbestand aus dem Gräberfeld von Rauschen/Kobjeiten dürfte in einer Größenordnung von ca. 2.000 Stück gelegen haben. Dem steht heute ein erhaltenes Objekt im Berliner Bestand der Prussia-Sammlung gegenüber.
(Lanzenspitze des 11.-12. Jh. aus dem Gräberfeld von Rauschen-Kobjeiten, Einzelfund. Zeichnung: C. Hergheligiu)
Ungeachtet dieser Verluste lässt sich mit Hilfe der Ortsakten ein aussagekräftiges Bild von Umfang, Inhalt und Bedeutung des Gräberfeldes von Rauschen/Kobjeiten zeichnen. So sind detaillierte Beschreibungen von etwa 250 mittelalterlichen und kaiserzeitlichen Gräbern aus dem Südteil des Gräberfeldes erhalten.
(Rekonstruierter Gräberfeldplan aus dem Südteil des Gräberfeldes von Rauschen-Kobjeiten mit Gräbern der Römischen Kaiserzeit und des Mittelalters)
Berücksichtigt man alle behandelten Gräberfelder in dem räumlich begrenzten Untersuchungsgebiet, so wird die außerordentliche Funddichte kaiserzeitlicher und mittelalterlicher Gräberfelder im Samland deutlich.
(Christoph Jahn)
(Die behandelten Fundorte in der Region um Rauschen im nördlichen Samland)
Gegenstand der Untersuchung sind die Gräberfelder von Rauschen/Kobjeiten, Kirtigehnen, Pokirben, Pokalkstein und Regehnen an der nördlichen Ostseeküste des Samlands in einem Gebiet von 7 x 4 km Ausdehnung. Auch wenn keines der Gräberfelder vollständig ausgegraben oder dokumentiert worden ist, so ist doch jeweils von einer Belegung mit 300-400 Bestattungen auszugehen. Auffällig ist die lange Belegungsdauer der Gräberfelder. Für alle Fundorte lässt sich eine Nutzung in der Römischen Kaiserzeit und im Mittelalter nachweisen, teilweise auch für die Bronzezeit, die vorrömischen Eisenzeit und die Völkerwanderungszeit.
Die Bearbeitung dieser Fundorte zeigt die typische Problematik beim Umgang mit den Beständen der Prussia-Sammlung aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg: keines der hier behandelten Gräberfelder wurde vor dem Krieg vorgelegt oder ausgewertet. Wenn überhaupt haben nur einzelne Objekte oder Fundensembles Eingang in die Literatur gefunden. Erst die kombinierte Auswertung des in Berlin erhaltenen Objektbestandes und der Aktenüberlieferung ermöglicht eine Rekonstruktion der Grabinventare und der Bestattungsweise. Somit lässt sich für die meisten Fundorte eine „Verlustliste“ erarbeiten, die verdeutlicht, wie groß die Diskrepanz zwischen der Menge der ausgegrabenen Stücke und den heute in Berlin erhalten Objekten ist. Betrachtet man z. B. die unveröffentlichten Grabungsbrichte aus dem Gräberfeld von Rauschen/Kobjeiten, so wird ersichtlich, dass bis zum Jahre 1930 dort mindestens 399 Gräber geborgen worden sind, teilweise mit umfangreichen Grabbeigaben (zahlreiche Pferdebestattungen mit Reitzubehör).
(Die Grabungen des Flachgräberfeldes an der Straße Rauschen-Kobjeiten. Im nördlichen Teil befinden sich die Gräber der Frühen und Späten Völkerwanderunszeit = Stufen D und E, im südlichen Teil die Bestattungen der Frühen und Späten Römischen Kaiserzeit = C und B, teilweise überlagert von den mittelalterlichen Gräbern = F-J)
Der ursprüngliche archäologische Objektbestand aus dem Gräberfeld von Rauschen/Kobjeiten dürfte in einer Größenordnung von ca. 2.000 Stück gelegen haben. Dem steht heute ein erhaltenes Objekt im Berliner Bestand der Prussia-Sammlung gegenüber.
(Lanzenspitze des 11.-12. Jh. aus dem Gräberfeld von Rauschen-Kobjeiten, Einzelfund. Zeichnung: C. Hergheligiu)
Ungeachtet dieser Verluste lässt sich mit Hilfe der Ortsakten ein aussagekräftiges Bild von Umfang, Inhalt und Bedeutung des Gräberfeldes von Rauschen/Kobjeiten zeichnen. So sind detaillierte Beschreibungen von etwa 250 mittelalterlichen und kaiserzeitlichen Gräbern aus dem Südteil des Gräberfeldes erhalten.
(Rekonstruierter Gräberfeldplan aus dem Südteil des Gräberfeldes von Rauschen-Kobjeiten mit Gräbern der Römischen Kaiserzeit und des Mittelalters)
Berücksichtigt man alle behandelten Gräberfelder in dem räumlich begrenzten Untersuchungsgebiet, so wird die außerordentliche Funddichte kaiserzeitlicher und mittelalterlicher Gräberfelder im Samland deutlich.
(Christoph Jahn)